Commentary

Aufrüsten mit Freunden

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Source: Bundeswehr /​Flickr
23 Apr 2017, 
published in
Tagesspiegel Causa (Print)
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Donald Trumps Rechnung“ über ausstehende Schutzgeldzahlungen und die Forderung nach baldiger Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels für Verteidigungsausgaben ist ein gefundenes Fressen für die Wahlkämpfer in Deutschland. CDU-Finanzstaatssekretär Jens Spahn regte an, statt Sozialleistungen zu erhöhen lieber mehr Waffen zu kaufen. Die perfekte Vorlage für Sigmar Gabriel: Eine Verdopplung des Wehretats auf über 65 Milliarden Euro im Jahr sei mit der SPD nicht zu machen, so der neue Außenminister, gemeinsame Absichtserklärungen mit den Nato-Partnern hin oder her. So ein Friedenswahlkampf gegen die Kriegstreiber von der Union hat Gerhard Schröder immerhin die Wiederwahl gebracht.

Die SPD weiß auch, dass die Bundeswehr dringend modernisiert werden muss. Die Trendwende von fallenden zu steigenden Verteidigungshaushalten hat die große Koalition gemeinsam beschlossen. Doch Trumps Gepolter lässt den schwarz-roten Konsens für höhere Militärausgaben plötzlich so aussehen, als folge man brav dem Aufrüstungsdiktat aus Washington. Das will keiner, doch nur dagegen zu sein reicht nicht. Es fehlt eine moderne Leitidee für eine vorbeugende, europäische Friedens- und Sicherheitspolitik, die sich nicht nur in der spiegelbildlichen Forderung nach mehr Geld für Armuts- und Hungerbekämpfung erschöpft.

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Verhältnisse: Es gibt im Wesentlichen drei internationale“ Etats im Bundeshaushalt, für Außen‑, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik. 2017 gehen gut 70 Prozent davon, 37 Milliarden Euro, in die Bundeswehr. Setzt sich die Union durch, wären es dann fast 85 Prozent, denn die anderen Etats sollen laut gemeinsamer Finanzplanung kaum steigen. In den nächsten sieben Jahren bis zum Zieltermin des Zwei-Prozent-Ziels würde der Anteil der Außenpolitik von zehn Prozent auf sechs Prozent sinken, der der Entwicklungshilfe von 16 Prozent auf zehn Prozent. Die Gewichte zwischen den Etats würden sich also massiv verschieben. Das Signal wäre deutlich: Mehr deutsche Verantwortung heißt mehr Militarisierung.

Ist das die Botschaft, die von der Krisenwahl 2017 in die Welt gehen soll? Klar, da ist Brot statt Bomben“ ein Gewinnerargument. Doch die einfache Gegenüberstellung von zivilen und militärischen Mitteln wird der Realität nicht gerecht. Zivile und militärische Beiträge sind nicht austauschbar. Für einen Panzer weniger könnten wir uns zwar viele Entwicklungshelfer leisten, doch die schrecken Putins Freischärler nicht ab und schaffen unseren baltischen und polnischen Nachbarn deshalb auch keine Sicherheit. Als kurdische Milizen im Sommer 2014 zehntausende Jesiden vor dem Völkermord durch den Islamischen Staat bewahrten, haben sie das nicht mit Yogamatten gemacht, wie Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir damals treffend bemerkte.

Deutschland hat 2017 eine andere internationale Rolle als noch vor vier Jahren. Weder das Weißbuch noch die neuen Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung, an denen die Bundesregierung derzeit arbeitet, können die Frage nach den mittelfristigen militärischen wie zivilen Fähigkeitszielen beantworten. Als Dokumente der Bundesregierung können sie dem Haushaltsrecht des Parlaments nicht vorgreifen. Aber jetzt im Wahlkampf besteht die Chance, die Prioritäten unserer wachsenden Verantwortung konkret zu diskutieren. Es stimmt ja, dass wir Europäer uns nicht mehr allein auf die USA verlassen können. Dass wir mehr tun müssen, um durch EU und Nato besser für unsere gemeinsame Sicherheit zu sorgen. Dass wir beim nächsten Mal besser aufgestellt sein müssen, um Krisen wie den Krieg in Syrien zu verhindern oder zumindest dämpfen zu können. Panzer für Litauen und Luftraumüberwachung über den baltischen Staaten sind also genauso wichtig wie Gewalt zu verhindern und Konflikte zu lösen — zu einer modernen, vorbeugenden, europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik gehören sowohl Bündnisverteidigung als auch die Krisenprävention.

Beides braucht mehr deutsche Beiträge. Selbst für Außen‑, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zusammen gibt Deutschland gerade 1,6 Prozent seiner über drei Billionen Euro Wirtschaftsleistung aus. Das reicht bei Weitem nicht. Der Bundeswehr fehlen Schiffe, Hubschrauber, Aufklärer und vieles mehr — sowohl für Friedenseinsätze als auch zur gemeinsamen Verteidigung in EU und Nato. Wir müssen aber auch besser darin werden, befreite Gebiete im Irak so zu stabilisieren, dass die nächste demagogische Bande nicht wieder so leichtes Spiel hat wie der IS. Gleichzeitig müssen wir in echte Prävention investieren — dort, wo sich wahrscheinlich die nächste große Flüchtlingskrise zusammenbraut: in der Sahel- Region.

Dafür braucht die Bundesregierung wirksamere Instrumente: Das geht los bei der Diplomatie. Solange wir für die politische Abteilung“ unserer Botschaften in vielen potenziellen Krisenländern nur einen einzigen Experten haben, müssen wir uns über Strategiedefizite nicht wundern. Auch die Entwicklungshilfe hat noch viel zu tun, um ihre Instrumente besser an die besonderen Herausforderungen von Krisen anzupassen. Polizei und Justiz fehlt das Personal, Kollegen für Ausbildungseinsätze im Ausland abzustellen.

Was wir also wirklich brauchen, ist nicht nur eine Finanzspritze für die Bundeswehr, sondern ein strategischer Ausbau der Außen‑, Sicherheits- und Entwicklungspolitik insgesamt, als Instrumente einer übergeordneten Friedens- und Sicherheitspolitik im europäischen Rahmen. Darüber lohnt es sich konstruktiv und breitenwirksam zu streiten, gerade in Wahlkampfzeiten.

This commentary appeared in the print version of Tagesspiegel Causa on April 23, 2017. A shortened and updated version is also ran in the online edition of Tagesspiegel Causa. The full version was published on the PeaceLab2016 blog and in English.