Commentary

Wir brauchen eine Abwehrstrategie

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Source: krem​lin​.ru /​Wikimedia Commons
09 Nov 2016, 
published in
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Autoritäre Staaten nutzen die selbstverantworteten Schwächen offener Gesellschaften aus. Namentlich unsere allzu willfährigen Dienstleister bieten eine willkommene Angriffsfläche, dazu gehören Dienstleister aus der Finanzwirtschaft, Lobbyfirmen und Anwaltskanzleien. Die Hackerangriffe auf das amerikanische Wahlsystem sind keineswegs aufgearbeitet. Gestern wollte die Bundeskanzlerin nicht ausschließen, dass Russland mit Cyberattacken in den Bundestagswahlkampf eingreifen wird. Man sei schon heute Internetangriffen und Fehlinformationen aus Russland ausgesetzt, sagte Angela Merkel. Klar ist: Wir brauchen eine umfassende Strategie zur Begrenzung autoritärer Einflussnahme. 

Während in den Vereinigten Staaten eine Debatte um russische Cyberangriffe zur Beeinflussung der Wahlen tobte, trafen sich im vergangenen Monat die EU-Spitzen in Brüssel, um über Moskaus Propaganda- und Fehlinformationsoffensive zu beraten. Wir haben nicht die Werkzeuge, um dies zentral in den Blick zu nehmen“, beklagte sich ein hochrangiger EU-Beamter mit Blick auf die mangelnde Geheimdienstkooperation. Der Beamte hat recht, jedoch in einem weit tieferen Sinn. 

Nach dem Ende des Kalten Krieges hielten sich liberale Demokratien für das eindeutige Gewinnermodell. Wir erwarteten, dass sich die verbliebenen autoritären Systeme bald auf dem Müllhaufen der Geschichte wiederfinden. Es ist anders gekommen: Nicht nur haben sich autoritär-staatskapitalistische Systeme wie China und Russland stabilisiert. Sie nutzen hochentwickelte Strategien der Einflussnahme auf liberale Demokratien – just in dem Moment, in denen diese durch populistische Kräfte von innen angegriffen werden.

Dieser Umkehrschub trifft uns unvorbereitet. Uns fehlt gegenwärtig die passende Perspektive, um das Phänomen in seiner vollen Bedeutung zu verstehen und die richtigen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Es ist höchste Zeit, dies zu korrigieren. Dafür gilt es zunächst, das gemeinsame Muster hinter auf den ersten Blick unterschiedlichen Entwicklungen zu erkennen. Zu ihnen zählen die in Frage stehenden russischen Versuche, durch gehackte und verfälschte Informationen das amerikanische Wahlsystem zu diskreditieren; die Versuche autoritärer Staatssender wie Russia Today oder CCTV, ein westliches Publikum durch als Journalismus verkleidete Propaganda zu erreichen (wie etwa im Fall Lisa); das Sich-Einkaufen von Golfstaaten bei westlichen Universitäten und Thinktanks; Angolas Übernahme zentraler Medien- und Finanzhäuser in Portugal; die Kreml-Finanzspritzen für rechtpopulistische Kräfte; chinesische Großeinkäufe in strategischen Sektoren von Südeuropas moribunden Wirtschaften: All dies sind keine isolierten Entwicklungen, sondern Teil eines Makro-Phänomens autoritärer Einflussnahme auf liberale Demokratien in Europa und den Vereinigten Staaten. Ausgeführt werden diese durch ein Geflecht von Regierungsakteuren, Geheimdiensten, Staatsunternehmen und Staatsfonds sowie durch wohlhabende vermeintliche Privatpersonen mit engen Beziehungen zu autoritären Regimen. 

Im Blick auf dieses Panorama haben es liberale Demokratien versäumt, ihre Kerninstitutionen effektiv gegen Cyberangriffe zu schützen und in Maßnahmen zum Umgang mit autoritärer Propaganda (wie im Fall Lisa) zu investieren. Noch entscheidender für den Erfolg autoritärer Einflussnahme sind westliche Fürsprecher, welche als Transmissionsriemen solcher Einflussnahme dienen. Westliche Banker, Bilanzprüfer, Politiker, PR-Berater und Anwälte sind allesamt zu unentbehrlichen Dienstleistern für autoritäre Staaten geworden. Sie alle verdienen daran, autoritären Eliten Zugänge zu vermitteln und ihre Respektabilität zu erhöhen. Bisweilen agieren diese Dienstleister als Lobbyisten, um direkt politische Entscheidungen zu beeinflussen. Ein internes Memo der britischen Regierung von 2015 zu den Russland-Sanktionen, welches Sorgen um Umsatzeinbußen der City of London als Grundmotiv hat, ist nur ein Beispiel dafür. Altkanzler Gerhard Schröder ist eine Ein-Mann-Unterstützungsmaschine für den Kreml. 

Die Motive der Fürsprecher gehen bisweilen über persönlichen Profit hinaus. Politiker der bürgerlichen Mitte haben sich gegenüber autoritären Eliten geöffnet. Beispiele sind das obsessive Hofieren der chinesischen Führung durch David Cameron oder die Nähe von Nicolas Sarkozy zu Qatar und Gaddafis Libyen. Diese Politiker setzen auf einen amoralischen Ansatz gegenüber autoritären Systemen. Die panikartige Suche nach einer tragfähigen wirtschaftlichen Rolle für die Zeit nach dem Brexit wird solche Trends in Großbritannien verstärken. Hinzu kommt, dass einige links- und rechtspopulistische Politiker autoritäre Führungsfiguren wie Putin offen bewundern. 

Offene Gesellschaften brauchen eine umfassende Strategie, um autoritärer Einflussnahme entgegenzuwirken. Als ersten Schritt müssen wir die kritische Infrastruktur unserer Demokratien besser schützen. Parteien, Parlamente, Entscheidungsträger und andere Institutionen brauchen einen erstklassigen Cybersicherheits-Schutz. Auch dann werden Hackerangriffe noch vereinzelt Erfolg haben. Deshalb brauchen wir eine höhere gesamtgesellschaftliche Widerstandskraft gegenüber autoritärer Propaganda und kompromittierenden Operationen, um diesen nicht unvorbereitet gegenüberzustehen.

Zweitens müssen wir die Kosten für die westlichen Fürsprecher und Dienstleister autoritärer Systeme erhöhen. Gegenwärtig haben sie von der öffentlichen Meinung wenig zu befürchten. Das muss sich ändern durch mehr Transparenz und Aufklärung. Dafür ist ein klares Bild autoritärer Investitionen und Geschäftsbeziehungen vonnöten. Solche Dienstleister, die sich um öffentliche Aufträge in der EU und den Vereinigten Staaten bewerben, sollten verpflichtet werden, alle aktuellen wie bisherigen Geschäftsbeziehungen zu Klienten aus autoritären Staaten offenzulegen. Lobbyisten für Klienten aus autoritären Staaten sollten sich als solche registrieren müssen. Genauso sollten Nichtregierungsorganisationen, Sportclubs, Universitäten, Thinktanks und Parteien jegliche Finanzierung durch autoritäre Staaten und deren Mittelsmänner transparent machen. Den Werten der offenen Gesellschaft verpflichtete Gruppen sollten diese Informationen dann zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit nutzen. 

Transparenz wird eine robustere öffentliche Debatte ermöglichen, reicht aber allein nicht aus. Als Ergänzung brauchen wir drittens stringente Maßnahmen in Wirtschaft und Finanzsektor. Der Westen sollte offen für Investitionen bleiben, doch sollte einer autoritären Übernahme von Akteuren mit Systemrelevanz ein Riegel vorgeschoben werden (etwa im Bereich Medien). Die Beihilfe westlicher Finanzinstitutionen bei der Wäsche dreckigen Geldes aus autoritären Staaten gehört unterbunden. Aufgedeckt werden müssen verdeckte Besitzstrukturen und andere beliebte Instrumente, welche autoritäre Spieler nutzen, um ihre Anlagen (etwa im Immobilienbereich) zu verschleiern. 

Angesichts vieler tiefverwurzelter politischer Interessen wird die Auseinandersetzung mit autoritärer Einflussnahme ein harter Kampf – aber einer, dem wir nicht ausweichen können. Nach dem Ende des Kalten Krieges nahmen liberale Demokraten an, dass der Kampf für die Freiheit und offene Gesellschaften vor allem in autoritären Regimen oder fragilen Übergangsgesellschaften stattfinden würde. Heute ist klar, dass die entscheidende Front im Kampf für die Freiheit zu Hause ist, in unseren brüchigen liberalen Demokratien.

This commentary was originally published by Frankfurter Allgemeine Zeitung on November 92016.