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Stabile Fragilität: Für mehr Realismus in der internationalen Konfliktbearbeitung

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31 Aug 2014, 
published in
Internationale Politik
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Wenn Ende 2014 der letzte deutsche ISAF-Soldat in Kabul oder Mazar-e-Sharif ins Flugzeug steigt, geht eine Ära zu Ende – unabhängig davon, ob es eine Folgemission geben wird oder nicht. Die Katerstimmung hat längst eingesetzt, auch wenn die dringend notwendige Debatte über Fehler und Lehren aus dem internationalen Afghanistan-Engagement seit 2001 erst langsam ins Rollen kommt. Die gemeinsame Arbeitshypothese der deutschen Politik ist klar: Nie wieder! Von der Libyen-Enthaltung 2011 bis zu der absurden Debatte über ein Sanitätsflugzeug für die Zentralafrikanische Republik 2014 bestimmt diese Interventionsmüdigkeit die außen- und sicherheitspolitische Entscheidungsfindung. Die naive Arroganz der Vorstellung, kaputte Staaten zu reparieren“ („fixing failed states“), ist am Ende – nicht nur in Deutschland.

Diese Erkenntnis ist richtig, aber unzureichend. Der Zusammenbruch politischer Ordnungen, der Ausbruch von Bürgerkriegen, ethnisch oder religiös motivierte Massaker und Vertreibungen gehören zu den drängendsten außen- und sicherheits­politischen ­Herausforderungen, nicht erst seit dem jüngsten Ruf nach mehr deutscher Verantwortung. Immer wieder stehen verschämte militärische Beiträge im Mittelpunkt, weil die Diskussion über politische Stabilisierungskonzepte fehlt. Dass Stabilisierung immer im internationalen Verbund erfolgen muss, entlässt die deutsche Außen­politik nicht aus der Pflicht, sich eigene Gedanken zu machen – gerade über eine politische Strategie. Denn nur diese kann den Einsatz militärischer oder ziviler Mittel verantwortlich begründen.

Zu Recht fragte Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner ­Sicherheitskonferenz: Tun wir, was wir könnten, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren, im Osten wie in Afrika? … Engagieren wir uns schon ausreichend dort, wo die Bundesrepublik eigens Kompetenz entwickelt hat – nämlich bei der Prävention von Konflikten?“ Im Extremfall dürfe dies im Sinne der Schutzverantwortung auch ein militärisches Eingreifen zum Schutz von Menschen vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschheit nicht ausschließen. In der Öffentlichkeit bleibt Überzeugungsarbeit zu leisten: Nur eine knappe Minderheit der Bevölkerung (46 Prozent) wünscht sich ein stärkeres deutsches Engagement; zumindest bei den Unter-30-Jährigen ist es eine deutliche Mehrheit (57 Prozent). Höhere Beiträge zu UN-Friedenstruppen, Logistik, Diplomatie und humanitärer Hilfe genießen breite Akzeptanz bei den Befürwortern; nur Kampfeinsätze stoßen auf grundsätzliche Skepsis (18 Prozent).

Wie soll dieses Engagement also aussehen? Die naive Vorstellung des technokratischen Staatsaufbaus ist diskreditiert, doch die pseudorealistische Alternative wiedererstarkender Geostrategen ist ebenso weltfremd: Staatsversagen ruft nicht zuallererst Terrorismus hervor, und diesem ist mit Kampfdrohnen und der Aufrüstung repressiver Sicherheits­apparate sicher nicht nachhaltig beizukommen.

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The article was originally published in the September-October 2014 issue of Internationale Politik.

An updated English version of this article is also available via Stability: International Journal of Security & Development.