Commentary

Für eine ehrliche Außenpolitik

28 Feb 2018, 
published in
Frankfurter Rundschau

Deutschland braucht eine neue Außenministerin oder einen neuen Außenminister. Wenn ihre Mitglieder bis zum Wochenende für die Fortsetzung der Koalition mit der Union stimmen, dann wird die SPD das Amt besetzen. Kein leichter Job, denn die Herausforderungen an die deutsche Außenpolitik sind gewachsen. Ob sich Europa in der Welt des 21. Jahrhunderts behaupten kann, ob wir helfen können, Kriege und Gewalt einzugrenzen, bevor ihre Folgen unseren Wohlstand und unsere Freiheit bedrohen, das sind Überlebensfragen für unsere Demokratie.

Das stellt neue Anforderungen an das Amt des Außenministers – und an eine SPD, die sich noch in den Koalitionsverhandlungen für eine Begrenzung der Investitionen in die Bundeswehr eingesetzt hat. Um seine Interessen zu verteidigen muss Europa lernen, Macht zu projizieren, sagte Sigmar Gabriel letzte Woche bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Diese Machtprojektion darf nie nur militärisch sein, aber sie darf auch nicht vollständig darauf verzichten. Denn als einziger Vegetarier werden wir es in der Welt der Fleischfresser verdammt schwer haben.“

Das ist ein neuer, wichtiger Zungenschlag. Den vernetzten Ansatz“ beschwört die Bundesregierung seit über zehn Jahren. Nur bleibt es bei der Beschwörung: in großen Reden gehen Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Militär theoretisch Hand in Hand. Doch praktisch reiben sich die drei zuständigen Ministerien in Grabenkämpfen auf.

Vor allem aber haben sich die letzten Außenminister, von Steinmeier über Westerwelle bis Gabriel, immer tiefer in einen Widerspruch verstrickt, der vor allem in der Bundeswehr viel Vertrauen gekostet hat. Wenn der Bundestag Soldaten in Auslandseinsätze schickt, dann kommen der Auftrag, die Anzahl und die Einsatzregeln von der Regierung. Den Beschluss entwirft nicht das Verteidigungsministerium, sondern das Auswärtige Amt. Das ist Ausdruck der zivilen Vorherrschaft über Verteidigungspolitik und Bundeswehr, die Nachkriegsdeutschland als Lehre aus der Geschichte verankert hat. 

Doch ob die Bundeswehr die Mittel bekommt, um die wachsenden Einsatzanforderungen erfüllen zu können, bleibt der alleinige Kampf der Verteidigungsministerin. Da machen sich die Außenminister einen schlanken Fuß. 

Wenn ich mit jungen Offizieren spreche, verstehen viele diesen Widerspruch als Illoyalität seitens der Bundesregierung insgesamt. Nicht nur seitens einer Reihe von CDU- und CSU-Verteidigungsministern, die die Aushöhlung der Streitkräfte selbst vorangetrieben oder in ihrem Wiederaufbau bislang zu wenig erreicht haben. Sondern auch, in unterschiedlichem Maß, seitens der jeweiligen Außenminister von FDP und SPD. Das gilt insbesondere für die, die sich gern als Hohepriester des Zivilen gegen die Aufrüstungsspirale“ inszenieren und dabei von Merkel über das 2%-Ziel der NATO bis zu Trumps Aufrüstung alles in einen Topf werfen.

Die Offiziere, mit denen ich gesprochen habe, wollen sich einer politisch-diplomatischen Strategie unterordnen. Sie wünschen sich Führung, auch vom Außenminister. Doch sie verstehen es als Vertrauensbruch, wenn der gleiche Minister, der die Parlamentsentscheidung für einen lebensgefährlichen Einsatz vorbereitet, auf der Parteibühne gegen Aufrüstung“ stichelt und in Koalitions- und Haushaltsverhandlungen auf die Investitionsbremse tritt. Dass die SPD auch moderne Ausstattung“ für genau die gleichen Einsätze will, klingt in diesem Zusammenhang unglaubwürdig.

Wer auch immer am Werderschen Markt einzieht, sollte das Amt selbstbewusst verstehen. Außenminister heißt heute nicht nur Chefdiplomat, sondern auch Sicherheitschef zu sein. Das heißt gemeinsame Verantwortung übernehmen, auch für die Streitkräfte. Der Koalitionsvertrag schafft dafür die Voraussetzungen. Union und SPD wollen mehr investieren, sowohl in Diplomatie und Entwicklung als auch in Militär und Verteidigung, im Rahmen einer umfassenden gemeinsamen Friedens- und Sicherheitspolitik.“ Die beschlossenen Erhöhungen reichen durchaus, solange die Verteidigungsbürokratie mit der Umsetzung in funktionsfähiges Gerät überfordert ist. 

Der Sound des Koalitionsvertrags stimmt also, doch so einfach kommt das verlorene Vertrauen nicht zurück. Es ist eine Frage der Integrität, dass ein Außenminister als politischer Stratege auch eine Mitverantwortung für alle Instrumente dieser Strategie übernimmt – auch für die Streitkräfte, und auch für unbequeme sicherheitspolitische Grundsatzfragen wie die notwendige Diskussion um eine europäische Nuklearstrategie.

Die SPD war nie eine reine Vegetarier-Partei. Ein SPD-Außenminister wird seiner Partei eine neue außen‑, sicherheits- und friedenspolitische Grundsatzdebatte zumuten müssen, damit sie wieder ein ehrliches Verhältnis zu den Fleischtöpfen entwickelt.

This commentary originally appeared in the German daily newspaper Frankfurter Rundschau on February 282018.