Commentary

Anbiederung in Orbánistan

Benner Anbiederung In Orbánistan Original
Source: European People’s Party /​Flickr
10 Apr 2018, 
published in
Der Standard

Für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ist die Marschroute klar: die Vertiefung seines Projekts eines illiberalen Staates“ im Herzen der EU. Er kündigte Mitte März an, nach den Wahlen moralische, politische und auch juristische Genugtuung“ an seinen Gegnern zu nehmen. Diese beschreibt Orbán in Tönen, wie wir sie aus dem Deutschland und Österreich der 1930er-Jahre kennen. Seine Widersacher seien nicht die blutarmen kleinen oppositionellen Parteien“, sondern ein zu einem Imperium organisiertes internationales Netzwerk. Durch ausländische Konzerne und inländische Oligarchen ausgehaltene Medien, professionelle Lohnaktivisten, querulantische Organisatoren von Demonstrationen, das Netzwerk von durch internationale Spekulanten finanzierten NGOs, die durch den Namen von George Soros zusammengefasst werden und die dieser verkörpert. Gegen diese Welt müssen wir kämpfen.“

Einige ausländische Konzerne bekamen seinen Zorn zu spüren. Das Medienunternehmen Bertelsmann etwa, das den größten ungarischen Privatsender RTL Klub besitzt, wollte Orbán mit einer Sondersteuer außer Landes treiben. Er zog die Daumenschrauben bei Branchen an, in denen er ausländische Konzerne zugunsten ungarischer Konkurrenten aus dem Dunstkreis seiner Fidesz-Partei aus dem Markt treiben kann. Ganz anders jedoch verhält sich der ungarische Premier gegenüber Industrieunternehmen. Diesen wird der rote Teppich ausgerollt, weil es keine ungarischen Alternativen gibt und die Wirtschaft von diesen sehr erfolgreich angeworbenen Investoren abhängig ist. Deutsche und österreichische Firmen sind dabei zentral: Sie stehen an erster und dritter Position der größten Investoren. Und Deutschland und Österreich sind die beiden größten Handelspartner Ungarns.

Die Unternehmen schätzen die niedrigen Lohnstückkosten in Ungarn, die gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die schwachen Gewerkschaften, die Infrastruktur und die attraktiven Unternehmenssteuersätze. Sie erhalten zudem großzügige Subventionen für den Bau neuer Produktionsstandorte sowie privilegierten Zugang zu ungarischen Toppolitikern und zur Verwaltung.

Im Gegenzug lassen sich deutsche und österreichische Unternehmen von Orbán instrumentalisieren, um seine autoritäre Politik zu legitimieren.

Erste-Chef Andreas Treichl, der einen Deal mit Orbán über die Beteiligung des ungarischen Staates an der Erste-Tochter verhandelte, tat Ende vergangenen Jahres Orbáns Politik als demokratische Pubertät“ und ganz normalen Teil der Entwicklung“ ab. Der Horitschoner Bauunternehmer Michael Leier, dessen Leier Hungária beste Geschäfte macht, fungiert als Berater der ungarischen Regierung. Er äußerte sich 2014 bei einer Vertragsunterzeichnung mit Ungarn: Das Problem ist sicher nicht Orbán. Wir als Firma Leier sind 30 Jahre hier und sind sehr erfolgreich und sehr zufrieden.“

Noch weiter mit der Anbiederung treiben es deutsche Autokonzerne. So lud Audi Ende 2014 Viktor Orbán zur Eröffnung der TT-Roadster-Produktion in Gyor ein. Ungarn ist heute unvorstellbar ohne Audi“, sagte der Ministerpräsident. Und Audi-Chef Stadler erwiderte die Umgarnung: Wir fühlen uns als Audi zu Hause in Ungarn.“ Im Mai letzten Jahres hofierte Daimler Orbán in Budapest im Rahmen eines Forums für Aktionäre. Eckart von Klaeden, Leiter der Regierungsbeziehungen des Konzerns, zeigte sich strahlend mit Orbán. Und Orbán bedankte sich bei meinem Freund Eckhard von Klaeden“ für das Symbol des Vertrauens, das der Daimler-Konzern Ungarn entgegenbringt”. Und er hatte auch eine Botschaft an seine Kritiker. Es sei dumm, argumentierte Orbán, seine Politik an den Pranger zu stellen, wenn Ungarn zu den Wachstumsträgern der EU gehört. Auch weil Orbán durch zahlreiche Korruptionsenthüllungen unter Druck geraten ist, ist es fatal, wenn Auslandsinvestoren sich ihm als legitimatorisches Feigenblatt andienen.

Bei Investitionen innerhalb der EU sollten für Unternehmen besondere Maßstäbe gelten. Alle Mitgliedsstaaten haben sich auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit verpflichtet. Ungarn ist für Unternehmen so attraktiv, weil es zur EU gehört und Teil des gemeinsamen Marktes ist, der in dieses Wertegerüst eingebettet ist. Man kann sich nicht wie im Supermarkt aussuchen, welche Freiheiten man haben will und welche nicht. Genau deshalb sind Investitionen in Europa etwas anderes als Investitionen in China oder Russland.

Audi, Daimler und Co sollten sich deshalb klar von der autoritär-illiberalen Politik Orbáns distanzieren. Zudem sollten Unternehmen in einen gemeinsamen Fonds einzahlen, der, unabhängig verwaltet, Initiativen zur Stärkung von Medien und bürgerlichem Engagement unterstützt. Freiwillig werden die Unternehmen den Kursschwenk nicht vollziehen, machen sie doch beste Geschäfte und zahlen bislang keinen Preis in der Öffentlichkeit für ihre Anbiederung an das Orbán-Regime. Deshalb braucht es öffentlichen Druck durch Kampagnen von der offenen Gesellschaft verpflichteten NGOs in den westlichen Heimatmärkten der Unternehmen. Skandalisierungspotenzial der Liaison mit Orbán gibt es genug. NGOs müssten es nur nutzen. 

This commentary was originally published by Der Standard on April 82018.